Internationale Energieagentur hat Masterplan gegen russische Gas-Abhängigkeit
Mit einer Art Masterplan hat die Internationale Energieagentur (IEA) aufgezeigt, wie die Europäische Union die Abhängigkeit von russischem Erdgas schon in Kürze deutlich verringern kann. Dazu wurde ein 10 Punkte-Plan vorgestellt.
Gasimporte in die EU aus Russland können kurzfristig um ein Drittel gesenkt werden
Im Jahr 2021 importierte die Europäische Union durchschnittlich täglich über 380 Millionen Kubikmeter (m³) Gas per Pipeline aus Russland bzw. rund 140 Mrd. m³ im gesamten Jahr. Darüber hinaus wurden rund 15 Mrd. m³ in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG) geliefert. Insgesamt importierte die EU aus Russland 155 Mrd. m³, das sind rund 45 % der EU-Gaseinfuhren und rd. 40 % ihres gesamten Gasverbrauchs. Zwar werden die Netto-Null-Ambitionen in Europa den Gasverbrauch und die Importe im Laufe der Zeit senken, aber kurzfristig müssen andere Sofortmaßnahmen in Betracht gezogen werden, so die IEA.
In einem 10-Punkte-Plan, der die Gasversorgung, das Stromsystem und die Endverbrauchssektoren umfasst, können umgesetzte Maßnahmen dazu führen, dass der Abruf der EU an russischen Gasimporten innerhalb eines Jahres um mehr als 50 Mrd. m³ bzw. um ein Drittel reduziert wird. Diese Zahlen berücksichtigen die Notwendigkeit einer zusätzlichen Wiederbefüllung europäischer Gasspeicher im Jahr 2022, nachdem geringe russische Lieferungen dazu beigetragen haben, die Speicherniveaus auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau zu bringen. In einem weiteren Szenario können die Gasimporte nach IEA-Angaben auch um 80 Mrd. m³ reduziert, d.h. halbiert, werden.
Auslaufende Gaslieferverträge nicht verlängern – alternative Quellen
Nach IEA-Angaben laufen Ende des Jahres 2022 voraussichtlich Gasimportverträge mit Gazprom über mehr als 15 Mrd. m³ pro Jahr aus. Bis Ende des Jahrzehnts enden Verträge über fast 40 Mrd. m³. Dies bietet der EU eine klare kurzfristige Möglichkeit, ihre Gaslieferungen und -verträge erheblich auf andere Quellen zu diversifizieren, z.B. über große LNG- und Pipeline-Infrastruktur.
Zudem könnten zusätzliche 10 Mrd. m³ durch nichtrussischen Pipeline-Importe (inkl. aus Aserbaidschan und Norwegen) organisiert werden. Im 10-Punkte-Plan hat die IEA danach auch einen Anstieg der LNG-Importe der EU um 20 Mrd. m³ im Laufe des nächsten Jahres eingeplant. In Summe sind das 30 Mrd. m³ Erdgas zusätzlich aus nichtrussischen Quellen.
Verpflichtung: Vorhaltung einer Mindest-Gasspeichermenge
Die Gasspeicherung spielt eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung saisonaler Nachfrageschwankungen und der Absicherung gegen unerwartete Ereignisse wie Nachfragespitzen oder Angebotsengpässe, die Preisspitzen verursachen. Aktuell bieten die saisonalen Preisspannen keinen ausreichenden Anreiz für Speichereinspeisungen vor der Heizperiode 2022-23. Ein harmonisierter Ansatz für Mindestspeicherverpflichtungen für gewerbliche Betreiber im EU-Gasbinnenmarkt würde zusammen mit robusten marktbasierten Kapazitätszuweisungsmechanismen die optimale Nutzung aller verfügbaren Speicherkapazitäten in der EU sicherstellen. Die Füllstände der Gasspeicher sollten bis zum 01. Oktober auf 90 Prozent ansteigen. Stand heute muss die Gasinjektion 2022 wegen des niedrigen Speicherstandes um etwa 18 Mrd. m³ höher sein als 2021.
Beschleunigter Ausbau an Wind- und Solarleistung
Im Jahr 2022 wird erwartet, dass der Rekordzubau an neuer Solar-PV- und Windkraftkapazität sowie durchschnittliche Wetterbedingungen dazu führen werden, dass die EU-Produktion aus diesen erneuerbaren Quellen um über 100 Mrd. kWh steigt. Eine konzertierte politische Anstrengung zum schnellen Ausbau weiterer erneuerbarer Kapazitäten könnte im nächsten Jahr weitere 20 Mrd. kWh liefern.
Eine schnellere Bereitstellung von PV-Dachanlagen kann die Verbraucherrechnungen senken. Ein kurzfristiges Zuschussprogramm, das 20 % der Installationskosten abdeckt, könnte das Investitionstempo verdoppeln. Dies würde die Jahresleistung von PV-Aufdachanlagen um bis zu 15 Mrd. kWh steigern.
Die zusätzlichen 35 Mrd. kWh Stromerzeugung aus neuen erneuerbaren Projekten würde den Gasverbrauch um weitere 6 Mrd. kWh senken.
Kernenergie Bioenergie-Kraftwerke und Wärmepumpen
Aufgrund von Wartungs- und Sicherheitsüberprüfungen sind 2021 zahlreiche Reaktoren ausgefallen und vom Netz genommen. Durch die Wiederaufnahme des Betriebs und der Inbetriebnahme des neuen finnischen Reaktors wäre 2022 eine um rd. 20 Mrd. kWh höhere Stromproduktion möglich.
Den größten Beitrag können mit zusätzlichen 50 Mrd. kWh nach IEA-Angaben Bioenergie-Kraftwerke in der EU liefern. 2021 waren die Anlagen nur zu 50% der Gesamtleistung in Betrieb, die Auslastung kann nach IEA-Einschätzung durch finanzielle Anreize gesteigert werden. Die insgesamt 70 Mrd. kWh mehr an Stromerzeugung würden danach zu einer Gasreduktion um zusätzliche 14 Mrd. m³ jährlich führen.
Auch zusätzliche Wärmepumpen sind ein Weg, die Gas-Abhängigkeit zu reduzieren. Die Beschleunigung der erwarteten Einführung durch Verdopplung der aktuellen EU-Installationsraten von Wärmepumpen würde innerhalb des ersten Jahres weitere 2 Mrd. m³ Gasverbrauch einsparen, die Investitionskosten sollen sich danach auf 15 Mrd. Euro in der EU belaufen.
© IWR, 2022
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